Populäre Musik im Spannungsfeld von Musik- und Medienwissenschaften
Prof. Dr. Susanne Binas-Preisendörfer nimmt uns in ihrem neuen Buch Populäre Musik zwischen Musik- und Medienwissenschaften mit auf eine faszinierende Reise durch die Geschichte der Popular Music Studies. In diesem Interview gibt die Wissenschaftlerin Einblicke in die zentralen Unterschiede zwischen den frühen Ansätzen der Forschung und den aktuellen Perspektiven, die sich im Kontext rasanter technologischer Entwicklungen wie z.B. dem Streaming herausgebildet haben. Sie beleuchtet, wie eng populäre Musik mit medialen Veränderungen verknüpft ist und welche Herausforderungen und Chancen sich für die zukünftige Forschung an der Schnittstelle von Musik- und Medienwissenschaften ergeben.
Ihr Werk bietet einen faszinierenden Überblick über die Entwicklung und aktuellen Diskurse der Popular Music Studies. Wie würden Sie die zentralen Unterschiede zwischen den frühen Ansätzen in diesem Feld und den gegenwärtigen Perspektiven an der Schnittstelle von Musik- und Medienwissenschaften beschreiben, insbesondere im Hinblick auf die technologische Entwicklung von der Zeit des Walkmans bis hin zu Streaming-Diensten?
„Die frühen Ansätze der Popular Music Studies stammen aus dem englischsprachigen Raum. Hier standen die Cultural Studies des CCCS Birmingham (Centre for Contemporary Cultural Studies) Pate. Man orientierte sich an einem weiten Kulturbegriff und arbeitete mit den Methoden der empirischen Kulturwissenschaft. Der Blick war v.a. auf Arbeiterjugendliche und deren Alltagskulturen gerichtet. Ihnen billigte man deren eigene Normen und Werte zu und maß sie nicht an denen bürgerlicher Milieus, beste Voraussetzungen also, sich mit populären Kulturen zu befassen.
Im deutschsprachigen Raum stand man anfangs in der Tradition des Philosophen und Musiksoziologen Adorno, der immer wieder Kritik an den Kulturindustrien übte. Man fragte sich deshalb v.a. mit welcher populären Musik man sich von den „Machenschaften“ der Industrie absetzen könne. Diese Diskussionen fanden v a. unter Musikpädagog:innen statt, die im Angesicht der Forderungen nach einem handlungsorientierten Unterricht die Vorlieben und kulturellen Bedürfnisse Jugendlicher kennen lernen und teilweise auch steuern wollten.
Sowohl im englischsprachigen wie auch deutschsprachigen Raum spielten die engen Verbindungen zwischen populärer Musik und Medien zunächst kaum eine Rolle. Das hat sich grundlegend verändert. Nicht zuletzt die rasanten Veränderungen von Kommunikationstechnologien sorgten dafür, dass sich die akademische Aufmerksamkeit auf diese Entwicklungen richtete. Viele Wissenschaftler:innen der internationalen Popular Music Studies Community waren in den 1990er Jahren zugleich im Feld der Media-Studies aktiv. Aus den Medien- und Filmwissenschaften stammen dann auch Theorien, wie die des Medien-Dispositivs (Foucault, Baudry, Paech) oder der Prothesen bzw. Geräte (Mc Luhan). Was das Streaming der Gegenwart angeht, braucht es sowohl einen genauen Blick auf die technische Umgebung, die Einordnung der Plattformökonomien wie auch das veränderte Nutzungsverhalten der Hörer:innen.“
In Ihrem Buch arbeiten Sie heraus, dass die Produktion und Aneignung populärer Musikformen untrennbar mit medialen Entwicklungen verknüpft ist. Könnten Sie ein Beispiel für ein zentrales Konzept oder eine Methode erläutern, die sowohl in der Musik- als auch in der Medienwissenschaft Bedeutung erlangt hat, und wie diese das Verständnis populärer Musik verändert?
„Ich nannte eben schon das Konzept des Medien-Dispositivs, also im weitesten Sinne der Anordnung und Positionierung von Menschen und Technologien in einem konkreten historischen und sozialen Raum. Wobei eingeräumt werden muss, dass das nicht die einzige poststrukturalistische Theorie ist, die in den Popular Music Studies Interesse findet. In all diesen Konzepten geht es darum, den Beziehungen zwischen Menschen und „Maschinen“ bzw. Dingen, sprich Subjekten und Objekten nachzugehen und dabei nicht deterministisch vorzugehen, sondern Spannungsfelder, Vernetzungen und auch Machtgefälle zwischen den unterschiedlichen Aktanten auszumachen. Es geht darum, die Komplexität des Feldes und seine diskursiven Hervorbringungen nachvollziehbar zu machen. In der Analyse des Walkman-Dispositivs bin ich methodisch offen vorgegangen und habe mich mit historischen Quellen und akademischen Texten, Fotos und eigenen Erinnerungen auseinandergesetzt.“
Populäre Musik entwickelt sich heutzutage rasend schnell, sei es durch Social Media, In-Game-Konzerte oder Streaming-Plattformen. Inwiefern spiegelt sich diese Dynamik in Ihrer wissenschaftlichen Arbeit wider, und welche Herausforderungen sehen Sie für die zukünftige Forschung an der Schnittstelle von Musik- und Medienwissenschaften?
„Die Popular Music Studies sind diverser geworden. Leicht kann man den Überblick verlieren. Deshalb konzentriere ich mich auf die Schnittstelle von Musik- und Medienwissenschaften. In meiner eigenen akademischen Biografie hat es bereits mehrere Medienumbrüche gegeben. Ich selbst kenne noch die Zeit, in der man Kassetten auf Vierspurgeräten aufgenommen, vervielfältigt und anschließend per Post versandt hat. Das Musikbezogene Handeln der Gegenwart folgt seitens der Musiker:innen, der Fans und der Musik- bzw. Medienwirtschaft anderen Maßstäben. Dennoch stellen sich ähnliche Fragen. Wie – beispielsweise – beeinflussen die Medien und Geräte des Hörens oder auch die der Musikproduktion das, was wir heute Popmusik nennen. Für mich besteht die Herausforderung darin, sich mit den jeweils historisch oder aktuell dominierenden Musikkonzepten auseinander zu setzen. Das heißt auch, die sich dynamisch verändernden Technologien zu verstehen und neue Konzepte ihrer Verwendung, Verwertung und Nutzung zu beobachten. Auch die Analyse des konkreten Klanggeschehens kommt ohne die Kenntnis und Bedeutung des technischen Equipments – egal ob im Studio oder einer Live-Situation nicht aus. Hier arbeite ich gern mit Kolleg:innen aus der Medienmusikpraxis zusammen, weil eine Person allein die verschiedenen Expertisen angesichts der Ereignisdichte nicht mitbringen kann.“