Der Geschmack der Freiheit

02.04.2024

Der Geschmack der Freiheit

Ein Interview mit Prof. Dr. Achim Geisenhanslüke

In seinem Buch „Der Geschmack der Freiheit“ beleuchtet Prof. Dr. Achim Geisenhanslüke die verborgene politische Dimension in Kants Ästhetik. Im folgenden Interview mit Rombach Wissenschaft erläutert der Autor die Bedeutung des „politisch Unbewussten“ und seinen Zusammenhang mit dem Begriff des Angenehmen, reflektiert Kants Ideen kritisch und zeigt neue Perspektiven auf.

 

Sie argumentieren, dass das „politisch Unbewusste“ eine wichtige Rolle in Kants Ästhetik spielt. Was genau verstehen Sie darunter und welche Beispiele aus der Literatur illustrieren diese Idee?

Mit dem Begriff des politisch Unbewussten, der dem amerikanischen Literaturwissenschaftler Frederic Jameson entlehnt ist, ziele ich auf die politische Dimension von Kants Ästhetik, die in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur Französischen Revolution entstanden ist. Anders als Hannah Arendt, die in der Kritik der Urteilskraft so etwas wie eine „Kritik der politischen Vernunft“ erkennen will, gehe ich davon aus, dass die politische Dimension der Schrift ein textuelles Unbewusstes bildet, das Kants Begriffe des Schönen und des Erhabenen begleitet. Besonders deutlich wird dieser Zusammenhang in Kants Analytik des Schönen, in der er vorschlägt, die beiden Begriffe Freiheit und Gesetz zusammenzudenken – beides genuin politische Begriffe, die er für die Idee der Republik in Anspruch nimmt und von anderen Regierungsformen wie der Anarchie oder dem Despotismus abzugrenzen sucht. Wollte man diese Ideen anhand der Literatur illustrieren, könnte man auf Schiller zurückgreifen. Will man Kant kritisieren, bietet sich Hölderlin als Ansprechpartner an, der die Ideen der Französischen Revolution radikaler als seine Zeitgenossen umzusetzen sucht.

 

Sie skizzieren eine „ästhetische Politik“, die auf dem Konzept des Angenehmen basiert. Wie könnte diese Politik aussehen und welche Vorteile hätte sie gegenüber traditionellen politischen Modellen?

Mit dem Begriff des Angenehmen suche ich eine Alternative zu Kants Begriff des Schönen. Während Kant beide Begriffe scharf abzugrenzen sucht, sehe ich in der sinnlichen Erfahrung des Angenehmen die Grundlage des Ästhetischen. Damit ziele ich zunächst auf eine Ästhetik, nicht auf eine Politik des Angenehmen. Auch im politischen Sinne hat der Wechsel vom Schönen zum Angenehmen allerdings Konsequenzen. Während Kant an einem normativen Begriff des Schönen festhält und kulturelle Differenzen vernachlässigt, ist der Begriff des Angenehmen ein kulturell kodierter, der es erlaubt, Diversität in Sachen des Geschmacks zu denken und dabei doch dem demokratischen Postulat der Gleichheit zu folgen: Nicht jeder hat den gleichen Geschmack, aber jeder hat den Anspruch, seinen Geschmack auszubilden.

 

Welche Rolle spielt die Freiheit in Ihrer Interpretation von Kants Ästhetik und wie steht sie mit dem Konzept des Angenehmen in Verbindung?

Freiheit und Gleichheit sind die zentralen Grundbegriffe demokratischen Denkens. Bei Kant spielt der Begriff der Freiheit eine größere Rolle als der der Gleichheit. Zugelassen wird von ihm Freiheit im ästhetischen wie im politischen Sinne jedoch nur als eine, die unter dem Gesetz steht. Im Unterschied zum Schönen kennt das Angenehme ein solches Gesetz nicht – man könnte formulieren, dass das Angenehme daher ‚freier’ ist als das Schöne, keinem Zwang unterliegt. Es öffnet sich damit für eine Politik, die über das Demokratische hinausgeht und ins Anarchische hineinspielt, das in französischen Theoriemodellen des späten 20. Jahrhunderts wie etwa bei Jacques Rancière eine große Rolle spielt.

Mit dem Begriff des Angenehmen suche ich eine Alternative zu Kants Begriff des Schönen. Während Kant beide Begriffe scharf abzugrenzen sucht, sehe ich in der sinnlichen Erfahrung des Angenehmen die Grundlage des Ästhetischen.

Prof. Dr. Achim Geisenhanslüke

Prof. Dr. Achim Geisenhanslüke bietet mit seinem Buch „Der Geschmack der Freiheit“ eine spannende Reise durch die komplexen Zusammenhänge von Ästhetik, Politik und Freiheit im Kontext von Kants philosophischem Werk. Seine Analyse des politisch Unbewussten und die Betonung des Angenehmen als alternative ästhetische Grundlage werfen ein neues Licht auf die Bedeutung von Geschmack und Freiheit in unserer heutigen Gesellschaft. Das Gespräch bietet einen faszinierenden Einblick in die Gedankenwelt eines renommierten Philosophen und lädt dazu ein, die Grenzen des traditionellen Denkens zu überdenken und neue Horizonte zu erkunden.