Ein Gespräch über Literatur und Popmusik mit PD Dr. Michael Eggers
Die Grenzen zwischen Hoch- und Populärkultur verschwimmen, wenn sich literarische Werke und die Pop- und Rockmusik begegnen. Diese spannende Schnittstelle steht im Zentrum des neuen Sammelbands Literaturpop, herausgegeben von PD Dr. Michael Eggers. Wir haben mit ihm über die Herausforderungen und Chancen gesprochen, die sich ergeben, wenn Popsongs literarische Vorlagen adaptieren und wie dies die Wahrnehmung von Literatur im kollektiven Bewusstsein beeinflusst.
Die Verbindung von Pop- und Rockmusik mit literarischen Texten ist ein faszinierendes Feld zwischen Hoch- und Populärkultur. Was hat Sie persönlich dazu motiviert, dieses Thema im Band Literaturpop zu systematisieren und zur Diskussion zu stellen?
„Die rein subjektive Antwort lautet, dass ich die Chance gesehen habe, zwei persönliche Leidenschaften, die für Popmusik und die für Literatur, miteinander zu verbinden. Sachlich geantwortet: Irgendwann fällt einem auf, dass ziemlich viele Popsongs sich auf Literatur beziehen und man realisiert, dass das schon während der historischen Anfänge der Popmusik beginnt. Es ist ja zunächst nichts Besonderes, das eine Kunstform sich auf eine andere bezieht, aber dass es eine Verbindung gibt zwischen der häufig als trivial wahrgenommenen Popmusik und der intellektuellen Kunstform schlechthin, der Literatur, ist ja schon bemerkenswert. Dann fragt man sich, wie man diese künstlerische und mediale Konstellation beschreiben kann. Vor allem finde ich interessant, was das für den Status von Pop und Literatur als kulturelle Ausdrucksweisen jeweils bedeutet, und es ist auch spannend nachzuvollziehen, für welche literarischen Autor:innen sich die Popmusik eigentlich interessiert. Die Wissenschaften haben erst gerade begonnen, das Thema zur Kenntnis zu nehmen und es ist gar nicht so klar, wer eigentlich zuständig ist: Literaturwissenschaft? Musikwissenschaft? Medienwissenschaft?“
Die Bandbreite der literarischen Rezeption reicht von wörtlichen Vertonungen bis hin zu rein instrumentalen Umsetzungen ohne Text. Wie gelingt es, diese unterschiedlichen Formen der literarischen Adaption methodisch zu fassen und welche methodischen Herausforderungen begegnen Ihnen in der Analyse der Verbindungen von Literatur und Musik?
„Die meisten der an unserem Buch beteiligten Autorinnen und Autoren sind in den Literaturwissenschaften tätig. Und aus literaturwissenschaftlicher Sicht muss man zunächst einmal zur Kenntnis nehmen, dass in den Texten vieler Songs die jeweiligen literarischen Vorlagen so sehr verkürzt und heruntergebrochen worden sind, dass man mit philologischen Methoden nicht sehr weit kommt. Eine reine Songtextanalyse greift zu kurz. Man muss verstehen, dass Popsongs viel mehr, viel komplexer sind: Sie sind multimediale Gebilde, bei denen es u.a. sehr stark auf die Performance und die Rezeption ankommt. Es ist eben ein Unterschied, ob man ein Gedicht alleine und still liest, oder ob man es shoutet und dazu mit anderen Pogo tanzt. Auch die Analyse des Songs als solchem, unter Zuhilfenahme musikwissenschaftlicher Methoden, reicht meist nicht aus: Popmusik ist, mehr als viele andere künstlerische Formen, von ihrem jeweiligen soziokulturellen Kontext geprägt und häufig geknüpft an bestimmte Formen der Rezeption.“
Pop- und Rockmusik als kulturelles Phänomen haben immense Auswirkungen auf das kollektive Bewusstsein. Wie beurteilen Sie den Einfluss der musikalischen Popularität auf die Wahrnehmung literarischer Werke? Kann Popmusik möglicherweise dazu beitragen, Literatur für neue Zielgruppen zugänglich zu machen?
„Wenn Lana del Rey Anspielungen auf die englische Lyrikerin Sylvia Plath oder auf den Amerikaner Walt Whitman macht, dann trägt das fraglos zu deren Ikonisierung bei. Popmusik ist ja immer noch, auch wenn sie sich kaum noch weiterentwickelt und ihre Kraft als Protestkultur längst verloren hat, ein Massenphänomen. Auf einer trivialen Ebene funktioniert das wie die Werbung mittels product placement in Filmen: Ein Name oder ein Texttitel werden über die bloße Erwähnung in einem anderen, populären Medium massenhaft verbreitet. Nicht wenige Fans von Lana del Rey werden Plath oder Whitman zum ersten Mal gelesen haben, weil sie eben von der Sängerin erwähnt werden. Und dann gibt es ja noch die künstlerisch elaborierte, popmusikalische Auseinandersetzung mit Literatur: Masha Qrellas textgetreue Vertonungen der Gedichte von Thomas Brasch etwa festigen dessen Status im literarischen Kanon und schreiben ihn auf neue Weise ein ins kulturelle Gedächtnis. Hier verneigt sich Popmusik vor der Dichtung und bringt zugleich auf kongeniale Weise deren sprachliche Musikalität zur Geltung.“